16 Kommentare

Übers Dehnen und verkürzte Muskeln!

Übers Dehnen und verkürzte Muskeln!

Dehnen ja oder nein?

Dehnen oder Stretching ist unter Sportlern und Physiotherapeuten ein kontrovers diskutiertes Thema. Zu keinem anderen Thema gibt es so viele Mythen und Halbwahrheiten wie eben übers Dehnen. Dies hat dazu geführt, dass Dehnungsübungen immer mehr hinterfragt wurde und teilweise zu viel Verwirrung und Unsicherheit unter Sportlern geführt hat. Kann man mit Dehnen einem Muskelkater entgegenwirken? Ist es besser vor oder nach dem Sport zu Dehnen? Soll man überhaupt Dehnen? Antworten auf diese Fragen und Tipps zum Dehnen findest du im folgenden Artikel. 🙂

Das Dehnen kann prinzipiell in zwei Arten unterteilt werden: statisches und dynamisches Dehnen. Beim statischen Dehnen wird die Dehnposition kontrolliert eingenommen und für eine bestimmte Zeit gehalten. Das dynamische Dehnen wird häufig vor dem Sport durchgeführt und ist eine Dehnung mit wiederholten federnden Bewegungen. In der Physiotherapie werden zudem spezielle Dehnungstechniken aus der neuromuskulären Fazilitation angewandt (AC-, CR-, oder AC-CR-Stretching).

 

Die erste Frage, die man sich stellen sollte: Was will ich mit dem Dehnen bewirken?

 

 

 

 

 

Zwei wesentliche Gründe fürs Dehnen ist die Steigerung der Beweglichkeit und die kurzfristige Spannungsreduktion der Muskulatur. Dehnen ist ein super Tool, um die Beweglichkeit in einem Gelenk zu verbessern. Für JEDEN Menschen ist eine „normale“ Gelenksbeweglichkeit wie beispielsweise in Hüftgelenk, Sprunggelenk oder Brustwirbelsäule sehr wichtig. Bei einer reduzierten Beweglichkeit z.B. des Hüftgelenks, werden angrenzende Gelenke mehr belastet, da sie die mangelnde Beweglichkeit ausgleichen müssen. In diesem Fall, wird häufig die untere Lendenwirbelsäule vermehrt belastet. Zudem bewirkt Dehnen eine kurzfristige Spannungsreduktion im Muskel, was z.B. bei einer verspannten Nackenmuskulatur kurzzeitig eine Erleichterung schaffen kann.

Falls du dir durch das Dehnen einem „verkürzten Muskel“ entgegenwirken willst, muss ich dich leider enttäuschen. Die Muskulatur wird durch Dehnen nicht länger und demnach gibt es auch keinen verkürzten Muskel. Um das genauer zu erklären, macht es Sinn zu verstehen, was im Muskel während einer Dehnung passiert…

 

Was passiert beim Dehnen im Muskel?

Der Muskel besteht aus quergestreiften Muskelfasern, die in parallel verlaufende Faserbündel gegliedert sind. Jede Muskelfaser enthält Myofibrillen, die wiederum aus Aktin, Myosin und Titinfilamenten bestehen. Bei einer Dehnung werden die kontraktilen Elemente (Aktin und Myosin) auseinandergezogen. Das Bindegewebe um den Muskel (Faszie), leistet Widerstand und stellt sicher, dass der Muskel durch die Dehnung nicht geschädigt wird. Die elastischen Titinfilamente sorgen dafür, dass Aktin- und Myosinfilamente nicht zu weit voneinander entfernt werden und bringen den Muskel nach der Dehnung wieder in seine ursprüngliche Form.

Was du dir davon merken solltest: durch das Dehnen kommt es zu KEINER Längenzunahme im Muskel. Regelmäßiges Dehnen bewirkt eine erhöhte Dehnungstoleranz der elastischen Strukturen im und um den Muskel. Dadurch wird die Beweglichkeit im Gelenk verbessert.😊

Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend!

Dehnen vor dem Sport macht auf jeden Fall Sinn, wenn eine gute Beweglichkeit für den Sport erforderlich ist. Bei der rhythmischen Gymnastik beispielsweise, ist die Beweglichkeit ein wesentliches Element. Bei Sportarten mit schneller Kraftentwicklung haben Studien gezeigt, dass sich Dehnen vor dem Sport negativ auf die Entwicklung der Schnellkraft der gedehnten Muskulatur auswirkt. Deshalb sollte bei Kraftsport sowie Sportarten mit Sprüngen oder Sprints, statische Dehnungsübungen direkt vor dem Sport vermieden werden.

Es stimmt leider nicht, dass Dehnen einem Muskelkater entgegenwirken kann. Im Gegenteil!! Insbesondere nach intensiven Trainingseinheiten sollte man Dehnen nach dem Sport vermeiden, da es durch die intensive Belastung zu Mikroeinrisse im Muskel (=Muskelkater) kommt. Diese winzigen Verletzungen können durch das Dehnen direkt nach dem Sport verstärkt werden. Aus diesem Grund empfehle ich dir Dehnungen erst 2-3 Stunden nach dem Sport oder am nächsten Tag durchzuführen. Dann hat das Dehnen auch den gewünschten Effekt.

 

Wie dehnt man richtig?

Beweglichkeit gehört neben Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Koordination zu den 5 motorischen Grundeigenschaften. Diese Eigenschaften sind die Grundlage für jede Form von Bewegung. Durch Dehnungsübungen kann die Beweglichkeit verbessert werden. Da Dehnungsübungen zu einer verbesserten Gelenksbeweglichkeit führen, kann die Dehnung auch einen Beitrag zu einer gesunden Bewegungsfähigkeit leisten.

Ich empfehle statisches Dehnen nach dem Sport für mindestens 40 Sekunden und 4 Durchgängen pro Muskelgruppe. Nimm dafür die gewünschte Dehnposition ein und positioniere deinen Körper so, dass du einen leichten Dehnungsreiz verspürst. Ja es darf wirklich ziehen, sollte aber keinen Schmerz auslösen. Bleibe nun für mindestens 40 Sekunden in der Position und gehe danach langsam wieder aus der Dehnung raus. Wiederhole dies 4 Mal pro Muskelgruppe auf jeder Seite.

Dehnen vor dem Sport ist sinnvoll, wenn für die Sportart eine gewisse Beweglichkeit von Vorteil ist. Ansonsten empfehle ich dir das Dehnen als eigene „Einheit“ zu sehen und an einem trainingsfreien Tag oder 2-3 Stunden nach dem Sport durchzuführen.

 

Das Problem hinter der reduzierten Dehnfähigkeit…

… ist häufig eine muskuläre Dysbalance! Dies bedeutet, dass ein Muskel im Vergleich zu seinem Gegenspiel viel kräftiger ist und meist eine erhöhte Muskelspannung aufweist. Ein Muskel hat dabei dauerhaft mehr Spannung, der andere eher zu wenig. Dies führt zu ungünstigen Spannungsverhältnissen im Gelenk. Diese veränderte Spannung kann die Beweglichkeit einschränken und zu Gelenksbeschwerden führen.

Ein gutes Beispiel ist im Fitnessstudio bei einigen Kraftsportlern zu beobachten. Viele Sportler konzentrieren sich primär auf das Training der Brustmuskulatur, was ja wirklich gut aussieht. 😉 In weiterer Folge kann es durch die vermehrte Spannung der Brustmuskulatur zu einem Rundrücken kommen. Bei mangelnden Ausgleichsbewegungen nimmt ebenso die Beweglichkeit der Schulter und Brustwirbelsäule ab. Dies bringt leider auch ungünstige Spannungsverhältnisse im Gelenk mit sich und geht häufig mit Beschwerden, beispielsweise der Schulter, einher. Bei muskulären Dysbalancen ist ein gezieltes Training der abgeschwächten Muskulatur und die Steigerung der Dehnfähigkeit des Gegenspielers sehr wichtig. Die Lösung des Problems beim Kraftsportler wäre eine Kräftigung der Rückenmuskulatur sowie hinteren Schultermuskulatur und das Dehnen der Brustmuskulatur. Dies ist natürlich nur ein plakatives Beispiel und sollte für jeden Sportler individuell analysiert und behandelt werden.

 

Ich hoffe ich konnte dir mit diesem Blogbeitrag einen guten Überblick zum Thema Dehnen geben. Rund um das Dehnen gibt es immer wieder neue Erkenntnisse und Studien. Ich habe versucht die aktuellen Forschungsergebnisse und Empfehlungen zusammenzufassen. Falls du noch Fragen zum Thema hast, freue ich mich über dein Kommentar.

Und vergiss nicht: Wichtig ist immer die Frage, was du mit dem Dehnen erreichen willst! 😊

 

Liebe Grüße,

 

Valentina

Was dich noch interessieren könnte

Kniestabilität für Läufer

Gerade beim Laufsport ist die Kniestabilität wichtig in der Verletzungsprävention, denn du sollst noch lange Spaß am Laufen haben. Immerhin wirkt beim Laufen das 3 bis 5-fache deines Körpergewichts auf…
Tags: Dehnen, verkürzte Muskeln

Ähnliche Beiträge

16 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Hallo Valentina,
    für mich hört sich was du zB über Dehnung schreibst sehr schlüssig an. Seit meinen Hüft-TEPs (links vor einem Jahr, rechts vor einem halben Jahr) kann ich nicht richtig laufen. Leider lief die 2. Reha sehr schlecht und mir fehlt die „Gelenkigkeit“ in den Hüften (lt. Orthopäde Störung der Gelenkfunktion einschl. der umgreifenden Muskulatur/muskuläre Dysbalance). Die Physiotherapeutin versucht nun neben Kräftigungsübungen für die Beine, dieser Steifigkeit mit Dehnen der Oberschenkel-/Hüftmuskulatur zu begegnen.
    Mein Eindruck ist: Es ändert sich nicht viel. Wie bekomme ich meine Hüften wieder beweglicher, sodass ich – im besten Fall – wieder „richtig“ laufen kann? Hast du vielleicht ein paar Tipps für mich, die ich dann gerne mit meiner Physiotherapeutin besprechen würde? Ich kann Strecken über etwa 100m nach wie vor nur mit Geghhilfen bewältigen und denke über den vorübergehenden Einsatz eines Rollators nach.
    Ich wäre für eine Antwort bzw. ein Feedback sehr dankbar!
    Beste Grüße, Malena

    Antworten
    • Hallo liebe Malena,
      vielen Dank für deine Nachricht. 🙂 Deine Physiotherapeutin hat bei dir mit Sicherheit eine genaue physiotherapeutische Diagnose erstellt, um mögliche Defizite zu identifizieren, um dich auf deinem Ziel wieder „richtig“ laufen können zu unterstützen. Es gibt sehr viele Faktoren, die die Beweglichkeit deiner Hüften beeinflussen können und noch viel mehr die das Gehen limitieren können. Ich bin mir sicher, dass deine Physiotherapeutin an den wichtigsten Defiziten mit dir arbeitet. Kräftigung der Muskulatur und ein individuelles Dehnprogramm sind mit Sicherheit wichtige Teilbereiche. Leider ist es nicht möglich eine genauere Empfehlung zu geben, da Ferndiagnosen immer schwierig sind und ich dich und deinen Körper nicht untersucht habe. Trotzdem wünsche ich dir alles Gute auf deiner weiteren Genesung und gute Besserung.
      Alles Liebe, Valentina

      Antworten
  • Ella Müller
    Juni 26, 2021 15:03

    Vielen Dank für den tollen Beitrag. Sie haben recht, das dynamische Dehnen wird häufig vor dem Sport durchgeführt und ist eine Dehnung mit wiederholten federnden Bewegungen. Gut zu wissen, dass in der Physiotherapie zudem spezielle Dehnungstechniken aus der neuromuskulären Fazilitation angewandt werden. Ich habe schon seit einiger Zeit immer wieder Probleme mit einzelnen Muskeln und meinem Rücken. Ich habe vieles ausprobiert und wollte nun einmal Physiotherapie austesten. Daher suche ich momentan nach einem Physiotherapeut in Münster, der mir weiterhelfen kann. Online habe ich bereits folgende Website entdeckt: https://www.therapiezentrum-otremba.de/manual_physiotherapie

    Antworten
  • FakeNameaberehrlichesFeedback
    September 28, 2021 22:26

    Vielen Dank für die klaren Empfehlungen, Valentina!

    Antworten
  • Hansruedi Stössel
    Januar 9, 2022 11:37

    Ich habe wenn ich Nachts erwache und mich Strecke plötzlich einen Wadenkrampf.Wie
    Erwürgen im Unterschenkel. Was kann man dagegen machen. Herzlichen Dank

    Antworten
    • Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich regelmäßiges Dehnen der Wadenmuskulatur positiv auf Krämpfe auswirken kann. Gerne mal ausprobieren, ansonsten Kontakt mit dem Hausarzt aufnehmen und beraten lassen. 🙂

      Antworten
  • Elvira Reiser
    März 3, 2022 17:34

    Ist es gut, direkt nach der Physiotherapie (Piriformissyndrom) Yoga zu machen? Meine Termine sind leider zufällig alle an einem Mittwoch, direkt vor dem Yoga.

    Antworten
    • Auf jeden Fall! Ist eine super Kombination, da es beim Piriformissyndrom häufig darum geht wieder Beweglichkeit zu schaffen und diese kannst du super im Yoga umsetzen 🙂

      Antworten
  • Hey Valentina, sehr guter Beitrag! Kann ich so bestätigen. Als kleine Ergänzung würde ich den Fokus der positiven Vorteile für die Gelenke – den größeren Arbeitsbereich und damit die deutliche Reduktion vieler Gelenkkrankheiten… verstärken. Und als zweites, wenn nicht schon erwähnt das man sich etwas warm machen sollte vor dem Dehnen. Aber sonst wirklich klasse beschrieben!!!! Hat viel Spaß gemacht zu lesen und Kenntnisse bestätigt. Lg 🙂

    Antworten
  • houston junk car buyer
    April 25, 2022 14:14

    Howdy! This is my first visit to your blog! We are a group of volunteers and starting a new
    initiative in a community in the same niche. Your blog provided us useful information to work on. You have done a wonderful job!

    Antworten
  • Hallo Valentina,
    ich habe mir die ersten Zeilen durchgelesen und habe dazu gleich ein paar Fragen. Hast du was von einer l Longitudinalen Hypertrophie gehört? Das heißt es werden sarkomere angebaut wenn beim Training die volle range of motion benutzt wird. Und wenn der Muskel immer in Annäherung zu seinen Ursprung liegt (z. b zu langes Sitzen = hüftbeugeransatz angenähert zum Ursprung) bauen sich die Sarkomere ab und eine Verkürzung findet deshalb statt, weil der Muskel anstrebt immer den perfekten überlappungsgrad der myofsinfilamente und aktinfilamente zu sichern. LG Y.K

    Antworten
    • Hallo Kengil,
      Vielen Dank für deine Nachricht. Ich habe bereits von der longitudinalen Hypertrophie gehört, allerdings ist diese sehr begrenzt. Sie kann zusätzlich durch intensives Dehnen erzielt werden. Bei muskulären Verkürzungen z.B. durch sehr viel Sitzen und wenig Ausgleichsbewegungen, kommt es zu keiner Veränderung der Länge der Muskelfaser, sondern die Dehnfähigkeit nimmt ab. Ein therapeutischer Ansatz könnte sich dann an der Steigerung der Dehnfähigkeit und selektiven Kräftigung orienteren.
      Liebe Grüße,
      Valentina

      Antworten
  • Toller Beitrag, ich hatte eine Weber-C Fraktur und vor 10 Tagen das Metall entfernt bekommen.

    Die Bewegung speziell nach oben ziehen ist noch eingeschränkt. Verkürzt durch die bedingte Ruhigstellung der Wadenmuskel? Wenn ich dehne, dann ist es sofort beweglicher, allerdings ist ne Stunde später wieder nicht der Fall. Wie lange muss man dehnen, um Erfolge in der Bewegung zu sehen?

    Antworten
    • Hallo Dennis,
      vielen Dank für deine Nachricht! Durch die Ruhigstellung ist nicht nur die Wadenmuskulatur betroffen, sondern auch das Gelenk mit der Gelenkskapsel. Aus diesem Grund würde ich dir auch Mobilisationsübungen für das Sprunggelenk empfehlen. Falls du merkst, dass du dabei Unterstützung brauchst, würde ich dir empfehlen eine*n Physiotherapeut*in aufzusuchen. Dieser kann dich optimal in der Rehabilitation unterstützen. Um genauere Angaben machen zu können ist nämlich eine genaue Untersuchung und Befunderhebung erforderlich.
      Liebe Grüße & gute Besserung,

      Valentina

      Antworten
  • www.massage-forum.pro
    Dezember 11, 2023 18:07

    Eure Leidenschaft und Hingabe für die Welt der Massage ist in jedem Beitrag spürbar.
    Danke, dass ihr euer Wissen so großzügig teilt!

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Sie müssen den Bedingungen zustimmen, um fortzufahren.